Nach 1945 entstand in Reggio Emilia/ Norditalien aus der Not heraus der Grundgedanke der Reggio-Pädagogik: kindliche Erziehung ist eine gesellschaftliche Verantwortung.
Die Reggio-Pädagogik versteht sich als Erziehungsphilosophie einer partnerschaftlichen Erziehungsarbeit, die
auf der Kooperation von Erziehern, Eltern, Kindern und der Gesellschaft basiert. Alle werden als kompetent
angesehen und mit in die kindliche Erziehung eingebunden.
Das Kind wird als "sprudelnde Quelle" gesehen und die Kreativität besonders gewürdigt. Die pädagogischen
Fachkräfte unterstützen und begleiten den frühkindlichen Bildungsprozess.
Ein humanistisches Menschenbild kennzeichnet die Reggio-Pädagogik, welche stark demokratisch geprägt ist
und insgesamt einem positiven Erziehungsverständnis folgt.
Das Kind...
ist eine individuelle Persönlichkeit
ist aktiv und entscheidungsfähig
hat Bedürfnisse, die ernst genommen werden müssen
muss respektiert werden
hat Rechte
kennt seine Bedürfnisse und kann diese ausdrücken
Rollenverständnis der ErzieherInnen
Sie sind das Gedächtnis der Kinder
Sie moderieren
Sie forschen
Sie dokumentieren
Sie stellen sich selbst in Frage und hinterfragen
Sie arbeiten im Team und spiegeln und lassen sich spiegeln
Sie bilden sich selbst weiter
Sie provozieren, das heißt:
Sie stellen Vertrautes in Frage - Sie stellen Fragen, die scheinbar unsinnig sind - Sie stellen Fragen, die den Blick auf das Alltägliche lenken - Sie stellen Fragen, die historisches Nachdenken auslösen - Sie stellen Fragen, die Lust am Abenteuer und Entdecken auslösen
Die Räume...
haben Aufforderungscharakter und lassen Platz für eigenes Handeln der Kinder
sind themenorientiert und präsentieren sich ästhetisch
nehmen Lebensbezug zum kindlichen Umfeld auf
haben Spiegel, Licht und Transparenz von innen nach außen und umgekehrt
werden mit "echtem Mobiliar" und wenig typischen Kindergartenmöbel ausgestattet
bieten Zeug zum Spielen, aber wenig Spielzeug
lassen Raum für Fantasie, Bewegung, Rückzug und Offenheit
haben "sprechende Wände" als Information für alle Beteiligten
fungieren als 3. Erzieher
Lernen in Projekten, durch Dialog und Dokumentation
Jeder Mensch ist einzigartig und hat seine eigene Art und Weise die Welt zu sehen, zu entdecken und zu
verstehen.
In der Reggio-Pädagogik schließt das Lernen immer die ganze Person, den Dialog und die intensive interaktive Beziehung zur Umwelt mit ein.
Das Kind ist Konstrukteur und Gestalter seiner Entwicklung und dem Zeitpunkt seines Wissenwollens.
Lernen durch Projekte und deren Dokumentation ist in der Reggio-Pädagogik tägliche Gegenwart im Alltag.
Gemeinsam mit den Kindern werden Projekte und Erfahrungen dokumentiert und ausgestellt.
Die Projekte entstehen durch dass was die Kinder umgibt. Wie z. B. aus ihren Fragen, Erlebnissen, Spielideen,
Interessen, dem unmittelbaren Lebensraum, ihrer Befindlichkeit.
Das Kind besteht aus Hundert.
Hat hundert Sprachen
hundert Hände
hundert Gedanken
hundert Weisen
zu denken, zu spielen und zu sprechen
Hundert -
immer hundert Arten
zu hören, zu staunen und zu lieben.
Hundert heitere Arten
zu singen, zu begreifen
hundert Welten zu entdecken
hundert Welten frei zu erfinden
hundert Welten zu träumen.
Das Kind hat hundert Sprachen
und hundert und hundert und hundert.
Neununneunzig davon aber
werden ihm gestohlen
weil Schule und Kultur
ihm den Kopf vom Körper trennen.
Sie sagen ihm:
Ohne Hände zu denken
ohne Kopf zu schaffen
zuzuhören und nicht zu sprechen.
Ohne Heiterkeit zu verstehen,
zu lieben und zu staunen
nur an Ostern und Weihnachten.
Sie sagen ihm:
Die Welt zu entdecken
die schon entdeckt ist.
Neuundneunzig von hundert
werden ihm gestohlen.
Sie sagen ihm:
Spiel und Arbeit
Wirklichkeit und Phantasie
Wissenschaft und Imagination
Himmel und Erde
Vernunft und Traum
seien Sachen, die nicht zusammenpassen.
Sie sagen ihm kurz und bündig,
dass es keine Hundert gäbe.
Das Kind aber sagt:
Und ob es die Hundert gibt.
Loris Malaguzzi